Das Projekt und sein Kontext
Das Projekt Windenenergiepark Oberwald/Bannholz wird in einem Gebiet geplant, das im Rahmen der öffentlichen Richtplanung noch gar nicht definitiv als Windenergiegebiet ausgeschieden ist: in den Wäldern zwischen Lyss, Büetigen und Diessbach.
Hier plant die private Projektentwicklungsfirma Windenergie Schweiz AG 10 – 12 Windenergieanlagen (WEA, rote Punkte in der Karte). Mit Hausbesuchen bei Waldbesitzern und internen Informationsveranstaltungen bei der Burgergemeinde Diessbach sichert sie sich seit 2023 Vorverträge für den Abschluss von Baurechtsverträgen für Parzellen im Gebiet Oberwald/Bannholz.
Wegen der schwachen Windverhältnisse muss jede dieser Anlagen 250 Meter hoch sein, damit eine minimale ertragssichernde Windgeschwindigkeit von 4,5m/sec erreicht werden kann. 250 Meter sind mehr als sechsmal die Höhe des Aussichtsturms auf der Kreuzhöhe oberhalb von Lyss.
Würden zehn oder mehr solcher Anlagen gebaut, entstünde der grösste industrielle Windpark der Schweiz in den Wäldern östlich von Lyss.
Der regionale Richtplan Windenergie des Seelandes wurde im Rahmen der Energiepolitik von Bund und Kanton Bern vom Verein seeland.biel/bienne erarbeitet. In einem ersten Entwurf wurde 2018 das Waldgebiet Oberwald/Bannholz als «aus landschaftlichen Gründen nicht geeignet» bezeichnet. Nach einem wenig repräsentativen Mitwirkungsverfahren 2022 wurde das gleiche Gebiet mit dem Vermerk «aus landschaftlichen Gründen geeignet als Landmarke» eingestuft. Es wurde als eines von vier Windenergiegebieten des Seelands für die kantonale Vorprüfung «festgesetzt»: Regionaler Richtplan Windenergie – seeland.biel/bienne (seeland-biel-bienne.ch) Der «Verein Gegenwind Lyss-Büetigen-Diessbach» ist mit dieser Festsetzung nicht einverstanden und hat seine Gründe in einem ausführlichen Schreiben an die 61 Gemeinde- und Stadtpräsidien des Seelandes dargelegt.
Dass so weitreichende und zum Teil problematische Planungsschritte unternommen werden für ein Projekt mit einem Investitionsvolumen von geschätzten 100 Millionen Franken (mündliche Angaben der Windenergie Schweiz AG / WES AG) mit potentiell weitreichenden Konsequenzen auf Mensch, Landschaft und Natur, ohne dass die betroffene Bevölkerung informiert wird, finden wir vom «Verein Gegenwind Lyss – Büetigen -Diessbach» nicht in Ordnung. Eine detaillierte Argumentation dazu finden Sie unter «Argumente/Im Windschatten grosser Pläne und Subventionen bleibt die Demokratie auf der Strecke».
Zur Firma Windenergie Schweiz AG und ihrer Projektplanung
Die Firma Windenergie Schweiz AG pflegt seit mehr als einem Jahr systematisch Beziehungen mit öffentlichen Körperschaften und Landbesitzerinnen zur Sicherung von Nutzungsrechten. Die vorliegenden Vertragsentwürfe dazu sehen substanzielle Entschädigungen an Waldeigentümer für die Nutzung ihrer Parzellen als WEA-Standorte vor.
Gemäss öffentlich einsehbaren Quellen (v.a. www.wes-ag.ch, Stand April 2024; Handelsregister) wurde die Firma WES AG 2017 in Aarau gegründet. Sie verfügt über ein Aktienkapital von CHF 100’000.–. Schlüsselfunktionen der Firma nehmen Bankfachleute aus der ehemaligen Credit Suisse wahr. Das fachliche (technologische) Know-how sichert sich die Kleinfirma mit dem Beizug von zwei Fachleuten aus Deutschland, die auch Mitglieder des Managements und Verwaltungsrats sind. Sie bringen viel Erfahrung mit Windkraftprojekten in Deutschland ein, direkt oder aber auch nur indirekt über andere Firmen (Referenzliste unter www.wes-ag.ch Stand April 2024).
In der Schweiz hat WES AG noch kein Projekt realisiert. Die Firma propagiert ein sog. «Bürgerwindpark-» Modell. Mit diesem werden lokalen und regionalen Interessenten finanzielle Anreize und Beteiligungsmöglichkeiten in einer zu gründenden Aktiengesellschaft angeboten (Strukturierung eines «Deals», der die Finanzierung und Risiken der geplanten Investitionen von 10 Mio. CHF pro Anlage diversifiziert und mehrheitlich in unsere Region verlegen will). Als zentraler Risikominderungsfaktor und Motivator der WES AG muss wohl aber das Subventionsregime des Bundes angenommen werden. Dieser übernimmt 60% der Projekt-Planungs-, Realisierungs- und Bauleitungskosten; BFE). Wie problematisch Subventionen teilweise wirken und wirtschaftliche Realitäten (hier die effektiven Kosten des Stroms) verzerren ist bekannt und wird hier mit einer aktuellen Reportage aus der Schweizer Windenergie-Landschaft illustriert:
Wer Allgemeingültiges erfahren möchte zu den Vorgehensweisen subventionsgetriebener Firmen aus der Windenergiebranche und die Schwierigkeiten der Gemeinden in der Schweiz im Umgang mit der Windenergie findet illustrative Geschichten in zwei Publikationen der NZZ:
>> «Wem gehört der Wind», hier besonders die Kapitel «Geheime Verträge mit Landbesitzern» und «Eingeschränkte Mitspracherechte», in NZZaS vom 20.03.2024;
Zum Kontext und den politischen Rahmenbedingungen für die Beurteilung von Windenergieanlagen
Wir skizzieren hier kurz Kontext und politische Rahmenbedingungen von Bund und Kanton Bern im Bereich der Energiepolitik. Sie vermitteln wichtige Orientierungspunkte für eine Einordnung und Beurteilung einer Windenergiezone resp. eines Windenergiepark-Projekts Oberwald/Bannholz in den Wäldern zwischen Lyss, Büetigen und Diessbach.
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 verpflichtet alle Staaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen. Fossile Brenn- und Treibstoffe verursachen rund zwei Drittel des menschengemachten Treibhausgasausstosses (Energiestrategie, Kanton Bern). Die Erderwärmung und das Aussterben einer Grosszahl von Tier- und Pflanzenarten sind die zwei grossen, menschgemachten Bedrohungen unserer Lebensgrundlagen. Der Schutz der Biodiversität verlangt einen achtsamen Umgang mit den Lebensräumen von Menschen, Tieren und Pflanzen.
Die Schweiz deckt ihren Energiebedarf zu mehr als 70% mit den fossilen, nicht erneuerbaren und importierten Energieträgern Erdöl, Erdgas und Uran. Diese tragen massgeblich zur Klimaerwärmung bei. Der übrige Bedarf wird im Wesentlichen durch inländische Wasserkraft und andere erneuerbare Energiequellen gedeckt (BFE, Energiestatistiken).
An der Stromproduktion ist die Wasserkraft mit über 60% beteiligt, Kernkraftwerke liefern knapp 30%, der Rest stammt vor allem aus erneuerbaren Energiequellen. Deren Zubau hat sich in den letzten Jahren beschleunigt, zu 90% mit Photovoltaik auf Gebäuden. Im Winter ist die Schweiz in der Regel auf Stromimporte angewiesen. Im Sommer exportiert sie Strom (BFE). Die fortschreitende Elektrifizierung (v.a. der Transport- und Wärmesektoren) ist einer der Gründe, weshalb der Strombedarf in den nächsten Jahrzehnten stark wachsen wird.
Die Bedeutung der Windenergie ist in der Schweiz marginal und umstritten. «Die Schweiz ist (wegen der Topografie) kein … klassisches Windland» (BKW, 2024). Einheimische Energiekonzerne investieren deshalb vor allem im Ausland in Windenergie. In der Schweiz produzieren 41 Anlagen 0.15 Terrawattstunden (TWh) oder 0.3% des Stroms (BFE und Suisse-Eole). Der schweizweit bisher grösste Windpark steht im Berner Jura auf dem Mont-Crosin und Mont-Soleil: 16 Windenergieanlagen (WEA) mit einer Gesamthöhe von max. 150 Metern und einer installierten Leistung von 37,2 MW. Dieser Windpark produziert im Jahr 80’000 – 90’000 MWh (80 – 90 GWh) bei Windstärken von 4 – 25m/s. Das entspricht dem Strombedarf von bis zu 20’000 Schweizer Haushalten (4’500 KWh/Haushalt; BKW/Juvent 2024).
Für die Stromversorgungssicherheit der Schweiz sind geregelte Beziehungen zur EU sehr wichtig. Die Schweiz exportiert und importiert nicht nur Strom in den EU-Raum, sie ist auch mit 41 grenzüberschreitenden Leitungen eng mit dem europäischen Verbundnetz verknüpft (Energie-Experten). Geregelter Handel und Netzintegration haben auch eine wichtige kostendämpfende Wirkung auf die Strompreise (Prognos; NZZ 20.5.23). Für eine klimaneutrale Energieversorgung beabsichtigt die Schweiz auch auf «grünen», primär importierten Wasserstoff zu setzen für die Mobilität und die Stromproduktion. Voraussetzung dafür ist auch hier ein geregelter Zugang an ein europäisches Wasserstoffnetz (BFE; NZZ).
Gemäss Energiestrategie 2050 will sich die Schweiz längerfristig mit erneuerbarer Energie versorgen, um damit einen Beitrag an die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu leisten. Der Ersatz der fossilen Energien führt zu einem Anstieg des Strombedarfs von heute rund 60 Terrawattstunden (TWh) auf 80 bis 90 TWh pro Jahr (VSE). Die Wasserkraft soll dazu 40 TWh beitragen, die neuen erneuerbaren Energien (Wind, Biomasse und Solarenergie) 24 TWh. Der Beitrag der Windenergie soll gemäss Windenergiekonzept des Bundes von 0.15 TWh auf 4.3 TWh gesteigert werden (also um einen Faktor von fast 30 mit ca. 800 Windenergieanlagen statt wie heute 41; BFE und ETHZ, 2023). Steigt die Schweiz gemäss Energiestrategie 2050 auch aus der Kernenergie aus, müssten bis Mitte des 21. Jahrhunderts bis zu 45 TWh zugebaut werden (energieschweiz und NZZ 14.2.24). Allerdings: Die Energiestrategie 2050 fordert auch einen sparsamen und effizienten Umgang mit Energie. Die Umweltallianz Schweiz schätzt, dass der Gesamtenergieverbrauch der Schweiz durch eine effizientere und sparsamere Nutzung um 50% reduziert werden kann. Nebst technologischen Neuerungen sind vor allem die Verbreitung von Stromanwendungen (diese sind viel effizienter als fossile Anwendungen) und die Eindämmung von Energieverschwendung wichtig. Bereits die Eliminierung von 7 (von 112) Fehlanreizen im Energiesystem der Schweiz würde die Einsparung von bis zu 10 TWh Energie erlauben (SES; NZZ, 14.3.24). Elektroheizungen zum Beispiel verbrauchten im Jahr 2020 immer noch 4 – 6% des gesamten Schweizer Stromaufkommens. Ihr Ersatz würde – vor allem im Winter – eine Ersparnis von mehr als 2 TWh erlauben (energieschweiz und BFE). Das ist ein Vielfaches der aktuellen Stromproduktion mit Windenergieanlagen. Generell entscheidend für die Energiewende wird sein, dass die schrittweise Ablösung des aktuellen Fördersystems mit seinen Subventionen mit einem verursachergerechten Lenkungssystem gelingt (mit Abgaben und Rückerstattungen an Bevölkerung und Wirtschaft; BFE, energieschweiz).
Um den Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion und die Zukunft der Atomenergie wird auf allen Ebenen der Politik gestritten. Auf Bundesebene sind für den Bau neuer Windparks vor allem drei Entwicklungen wichtig:
• In den vergangenen Monaten wurde mit dem Stromgesetz («Mantelerlass») die Grundlage für die Beschleunigung des Ausbaus von Vorhaben der erneuerbaren Energieproduktion gelegt (runder Tisch Wasserkraft; Solarexpress und Windexpress für fortgeschrittene Windkraftprojekte). Noch in der parlamentarischen Beratung ist Stand Frühjahr 2024 der sog. «Beschleunigungserlass»: Dieser zielt auf eine generelle Straffung der Planungs-, Bewilligungs- und Beschwerdeverfahren für (u.a.) Windenergieanlagen und die Netze. Strittig und für uns wichtig ist noch, ob die Kantone vorsehen können, dass Standortgemeinden einer Anlage zustimmen müssen (BFE; parlament.ch).
• Gegen das Stromgesetz wurde das Referendum ergriffen, wegen der Befürchtung, dass die Volksrechte eingeschränkt, und dass Natur und Landschaft bei der Planung und Realisierung neuer Energie-Grossanlagen leiden werden (BFE).
• Die gleichen Anliegen verfolgen zwei Volksinitiativen, für die gegenwärtig Unterschriften gesammelt werden: Die Gemeindeschutz-Initiative fordert, dass alle Einwohner, die vom Bau von Windrändern betroffen sind, demokratisch abstimmen können. Die Waldschutz-Initiative will, dass «im Wald …keine Windkraftanlagen … gebaut werden dürfen» (Verein für Naturschutz und Demokratie). Die Bestimmungen beider Initiativen würden – falls sie zustande kommen und an der Urne angenommen würden – frühestens in vier Jahren wirksam.
Der Kanton Bern trägt die Energie- und Klimapolitik des Bundes mit und setzt deren Ziele durch konkrete Massnahmen um. Die Energiestrategie des Kantons Bern strebt bis 2035 die 4000-Watt-Gesellschaft an mit 80% des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen. 2022 wurden im Kanton Bern 6,7 TWh verbraucht, davon stammten knapp 5 TWh aus bernischer Produktion, inklusive 0.5 TWh aus neuen Erneuerbaren (Solar, Biomasse und Wind). Das Potential für Wind wird im Kanton Bern auf 0.5 bis 1,2 TWh geschätzt. Viel grösser sind allerdings die Potentiale bei der Biomasse und für Solarstrom: 7,2 TWh, wenn alle dafür geeigneten Dachflächen (und Fassaden) genutzt werden (WEU und BZ). Dies fordert die «Berner Solarinitiative», gestützt auf den Klimaschutzartikel in der bernischen Verfassung (www.solar-initiative.ch).
Wichtige Instrumente der bernischen Windenergieförderung sind kantonale und regionale Richtpläne. Die Windrichtplanung des Kantons Bern legte 2016 Windenergieprüfräume fest, die dann im Wettbewerb um Planerfüllung und Subventionen von den Regionen des Kantons Bern überprüft, konkretisiert und ergänzt wurden. Das Waldgebiet zwischen Lyss und Diessbach (Oberwald/Bannholz) war im kantonalen Windrichtplan nicht als Windenergiegebiet vorgesehen. Es wurde erst im Rahmen der regionalen Windenergie-Richtplanung für das Seeland, die unter anderen die Interessen der Privatfliegerei (Flugplätze Grenchen und Worben) berücksichtigte, als potentielles Windenergiegebiet «festgesetzt» (vgl. dazu Regionaler Richtplan Windenergie – seeland.biel/bienne (seeland-biel-bienne.ch und alle dort verfügbaren Materialien, u.a. auch zum Mitwirkungsverfahren). Der Verein «Gegenwind Lyss-Büetigen-Diessbach» hat sich mit Prozess und Ergebnis der Richtplanung Windenergie des Vereins seeland.biel/bienne kritisch auseinandergesetzt: vgl. dazu Seite 2 oben, der regionale Richtplan Windenergie, insbesondere das Schreiben an die 61 Gemeindepräsidien des Seelandes vom 13.5.2024.
Abschliessend zu dieser Kontextualisierung der Pläne für einen Windpark im Waldgebiet Oberwald/Bannholz lassen sich die folgenden Schlüsse ziehen:
Der Verein «Gegenwind Lyss-Büetigen-Diessbach» stellt die Windenergie nicht grundsätzlich in Frage. Er unterstützt ausdrücklich die Förderung von erneuerbaren Energien (insbesondere Wasserkraft und Solarenergie) und die Dekarbonisierung der Energieversorgung. Die Bedeutung der Windenergie aber ist in der Schweiz marginal – und sie soll es auch bleiben: Weil es hierzulande Alternativen gibt zu deren technokratisch-subventionsgetriebenen Ausbau (vgl. dazu auch unter «Bessere Lösungen» auf dieser Webseite); weil die Schweiz kleinräumig und dicht besiedelt ist und unweigerlich grosse Interessenskonflikte entstehen mit monumentalen Windkraftanlagen von 250 Metern Höhe; und weil es vor allem im Mittelland kaum mehr Landschaftsräume gibt, die nicht von Überbauungen und Infrastrukturen überstellt sind. Deshalb sollen allfällig neu zu bauende Windparks natur-, landschafts- und menschengerecht konzipiert werden, und sie sollen wirtschaftlich und ökologisch Sinn machen (Effizienz und Wirksamkeit). Ein Windpark in den Wäldern zwischen Lyss und Diessbach erfüllt unserer Meinung nach diese Bedingungen nicht. Und gegen den Klimawandel und seine negativen Auswirkungen gibt es bedeutend wirksamere Handlungsoptionen (vgl. dazu u.a. unsere Ausführungen oben zum Thema Energiestrategie 2050).