Demokratie

 

Im Windschatten grosser Pläne und Subventionen bleibt die Demokratie auf der Strecke

«Information, Konsultation, Partizipation, Mitwirkung und Mitbestimmung: Es sind dies verschiedene Formen und Grade der Beteiligung von Bürgerinnen im demokratischen Rechtsstaat. Voraussetzung für die Teilhabe der Bürger (und die Akzeptanz eines jeden Projektes von Bedeutung) ist die Information. Auch deshalb stipulieren die Organisationsreglemente der Gemeinden im Seeland praktisch unisono: Wir informieren «rasch, umfassend, sachgerecht und klar…über alle Tätigkeiten von allgemeinem Interesse».

Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe, die in den letzten Monaten am Aufbau des Vereins
«Gegenwind Lyss-Büetigen-Diessbach» mitwirkten haben mit einer grossen Zahl von Menschen aus der Region Seeland gesprochen und stellten fest: Die Bürgerin, der Bürger weiss nichts von den Plänen einer Windenergiezone und den substantiellen Vorbereitungsschritten (Sicherung von Landnutzungsrechten zum Beispiel) für den
potentiell «grössten Windenergiepark der Schweiz» in den Wäldern zwischen Lyss, Büetigen und Diessbach, mit seinen weitreichenden Konsequenzen auf Menschen, Landschaft und Natur (vgl. auch unter «Das Projekt und sein Kontext» und
«Argumente»).

Formal mögen die Informationsverpflichtungen einzelner öffentlicher Akteure erfüllt worden sein: Der für die Entwicklung des Richtplans Windenergie Seeland
federführende Verein seeland.biel/bienne führt eine Webseite und hat ein
Mitwirkungsverfahren organisiert. Aufwändige Projektstrukturen haben den Prozess begleitet. Die betroffenen Gemeinden sahen bis vor kurzem (bis zu den ersten Interventionen unseres Vereins) offenbar keinen Anlass zur Information ihrer Bürgerschaft.

Der Verein «Gegenwind Lyss-Büetigen-Diessbach» hat Prozess und Ergebnis der Windenergie-Richtplanung im Seeland analysiert, die bedeutenden Defizite des Verfahrens benannt und seine Ablehnung der Festsetzung des Waldgebiets
Oberwald/Bannholz als Windenergiezone an alle Gemeinde- und Stadtpräsidien des
Seelandes kommuniziert:»

Besonders stossend finden wir, dass bevor die öffentlich-rechtlichen Organe den Richtplan Windenergie verabschiedet haben (frühestens am 1. Juli 2024) eine private Projektentwicklungsfirma «das Terrain Oberwald/Bannholz besetzt» mittels Vorverträgen über Landnutzungsrechte für einen sog. «Bürgerwindpark».

Die völlig ungenügende Informations- und Mitbestimmungspraxis rund um die Entwicklung von Windenergieanlagen ist auch strukturell bedingt:

Mit «Express- und Beschleunigungsverfahren» zur Förderung der Windenergie übersteuert der Bund teilweise die Kantone und diese die überforderten Gemeinden;

Die massive Subventionierung des Windenergiesektors führt zu geheimnistuerischen Praktiken von Projektentwicklungsfirmen zur «Sicherung ihrer Windenergiegebiete» lange bevor Richtpläne bewilligt sind;

Das Lobbying der Interessengruppierungen der Windenergieindustrie auf allen Stufen des schweizerischen politischen Systems ist intensiv. Ein Beispiel sind die Beiträge von SuisseEole, aeesuisse und der Windenergie Schweiz AG im Mitwirkungsverfahren von seeland.biel/bienne 2022: Ohne Titel (seeland-biel-bienne.ch);

Subventionen, beschleunigte Verfahren und «technischer Fortschritt» (will heissen: immer gigantischere, landschaftszerstörende Windturbinen) treiben Vertreter der erwähnten Lobbyorganisationen auch dazu, die Kompetenzen der Gemeinden bei der Einrichtung von Nutzungszonen für die Windenergie in Frage zu stellen. So berichtet Suisse Eole auf seiner Webseite (Stand April 2024) Folgendes aus einem Behördenseminar von Ende Dezember 2023: «Wir sind sehr zufrieden mit dem Vorschlag (des Bundesrats), die Verfahren zu bündeln und in die Zuständigkeit der Kantone zu übergeben». Und: «Ein heikler Punkt … besteht darin, dass die Kantone einen Gemeindeentscheid vorsehen können» (sic). Oder, für das Waldgebiet zwischen Lyss und Diessbach von Relevanz: (Es steht die Frage im Raum), «… ob Investoren neue Projekte auch dann entwickeln, wenn der Richtplan noch nicht angenommen sei…».

Schliesslich die Strukturen von seeland.biel/bienne: Wenn die Mitgliedgemeinden des Vereins keinen Anlass sehen, ihre von einer Planungsmassnahme betroffenen Bürgerinnen zu informieren oder konsultieren, kann das Wirken des regionalen Planungs-Vereins zu demokratisch wenig legitimierten Resultaten führen. Das ist vor allem problematisch in der schweizweit sehr kontrovers geführten Debatte um den Bau von Windenergieanlagen. Direktdemokratische Rechte gibt es – ausser dem Petitionsrecht – bei seeland.biel/bienne keine.
Es ist zu befürchten, dass die hier skizzierten demokratiepolitischen Mängel und schlechten Praktiken sich in Zukunft verschärfen. Gemäss revidiertem eidg. Energiegesetz und dem sog. «Beschleunigungserlass» stehen Windenergieanlagen mit einer Produktion von 20 GWh/a oder mehr künftig im nationalen Interesse. Sie wären damit grundsätzlich wichtiger als andere nationale Interessen wie der Landschafts- und Naturschutz. Für sie sollen deshalb Planungs-, Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren «gestrafft» werden (Medienmitteilung ARE, Juni 2023). All das schafft viel Unsicherheit auf den Ebenen der Kantone und Gemeinden und ist verfassungsrechtlich umstritten.

 

Im Kanton Bern erwarten wir, dass die Gemeindeautonomie auch für den Bau von Windkraftanlagen von nationaler Bedeutung gewahrt bleibt. Allerdings bleibt offen, «wie 3

wir … den Einbezug der Gemeinden besser und optimaler gestalten können» (RR Amman, Der Bund, 11.02.2024).

Wie verbreitet die hier beschriebenen Probleme und Praktiken in der Schweiz sind erzählen zwei aktuelle Beiträge in Publikationen der NZZ: «Warum Windkraft in der Schweiz zum Scheitern verurteilt ist», beschreibt das kommunikative und politische Versagen von Gemeindebehörden im Umgang mit Windenergieprojekten (NZZ Magazin, 28.10.2023):

Und im Beitrag «Wem gehört der Wind? …», Kapitel «Geheime Verträge mit
Landbesitzern» und «Eingeschränkte Mitspracherechte» kommen die Praktiken privater
Windpark-Entwickler aufs Tapet, mit ihren Zahlungsversprechen an Grundeigentümer
(NZZaS vom 20. März 2024):