Demokratie
Bleibt die Demokratie im Windschatten grosser Pläne und Subventionen auf der Strecke?
«Gute Information» ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat. Und für das Vertrauen in unsere Institutionen.
In den Wäldern zwischen Lyss und Diessbach werden die raumplanerischen Voraussetzungen geschaffen für einen industriellen Windenergiepark ohne angemessene Information der betroffenen Bürgerinnen und Bürger
Wie und wann haben wir vom «Verein Gegenwind Lyss – Büetigen – Diessbach» davon erfahren, dass in unseren Wäldern, am Rande unserer Dörfer «der grösste industrielle Windpark der Schweiz» entstehen soll?
Zufällig. Im Herbst 2023. Durch Hinweise von Waldbesitzern, die uns von Hausbesuchen cleverer Windpark-Förderer erzählten. Diese «verkauften» rechtlich fragwürdige Verträge zur Sicherung von Landnutzungsrechten für den Bau von 250 Meter hohen Windturbinen, Waldstrassen, Stromleitungen etc. Gegen das Versprechen bedeutender Entschädigungen. Und sie organisierten geschlossene Informationsveranstaltungen mit einer Burgergemeinde. Ehemalige «CS Banker» hatten ein neues Geschäftsmodell entdeckt: Das Entwickeln von Windparks, zu 60% finanziert durch Steuergelder. Mehr Information zu dieser Firma und ihren Vorgehensweisen ist auf dieser Webseite nachzulesen unter «Das Projekt «Windenergiepark Oberwald-Bannholz / Zur Firma Windenergie Schweiz AG…».
Bürgerinnen aus Diessbach und Grossaffoltern haben dann begonnen, sich gezielt zu informieren. Und sie erfuhren von gleichen Erfahrungen und Vorgehensweisen der erwähnten Projektentwicklungsfirma in der Gemeinde Wohlen bei Bern und in Sumiswald-Dürrenroth, beispielsweise.
Vor allem aber haben wir mit vielen Leuten in den Gemeinden Diessbach, Büetigen, Grossaffoltern, Wengi und Lyss (Hardern) gesprochen, und stellten fest: Bürgerinnen, die von den Plänen eines industriellen Windparks in den Wäldern zwischen Lyss und Diessbach Bescheid wussten, waren eine verschwindend kleine Minderheit.
Aber hielten nicht alle Organisations-Reglemente der Gemeinden der Region fest: Wir informieren «rasch, umfassend, sachgerecht und klar…über alle Tätigkeiten von allgemeinem Interesse»? Und waren nicht die Behörden eben dieser Gemeinden seit mehreren Jahren detailliert darüber informiert, dass der regionale Planungsverein seeland.biel/bienne an der Ausscheidung von Gebieten für Windenergieparks arbeitet?
Formal mögen die Informationsverpflichtungen einzelner öffentlicher Akteure im Seeland erfüllt worden sein: Der für die Entwicklung des Richtplans Windenergie Seeland federführende Verein seeland.biel/bienne betreibt eine Webseite und hat im Mai/Juni 2022 ein Mitwirkungsverfahren durchgeführt. Die betroffenen Gemeinden sahen bis zu den ersten Interventionen aktiver Bürger in den Gemeinden Diessbach und Grossaffoltern ab Herbst 2023 keinen Anlass zur Information der Öffentlichkeit. Das geheimnistuerische und profitorientierte Agieren einer Projektentwicklungsfirma und die Fehleinschätzungen von Behörden zu der politischen Bedeutung eines 100 Millionen Schweizer Franken «schweren» Investitionsprojekts eines industriellen Windparks in unseren Wäldern waren für über 60 Bürgerinnen und Bürger der Region Anlass, anfangs Mai 2024 den Verein «Gegenwind Lyss – Büetigen – Diessbach» zu gründen.
Eine der ersten Massnahmen von «Gegenwind Lyss – Büetigen – Diessbach» war, den Prozess und das Ergebnis der Windenergie-Richtplanung für das Berner Seeland zu analysieren. Unsere Kritik und Ablehnung der Festsetzung des Waldgebiets Oberwald/Bannholz als Windenergiezone haben wir in einem Schreiben an alle Gemeinde- und Stadtpräsidien des Seelandes festgehalten: Vergleiche die Anhänge im Kapitel: Das Projekt und sein Kontext
>Brief an die Gemeindepräsidien des Seelandes
>Anhang 1 zum Brief: Kriterien des Kantons für Windenergiegebiete
>Anhang 2 zum Brief: Argumente gegen den Windpark Lyss-Büetigen-Diessbach
Diese Intervention – und zahlreiche Gespräche mit Gemeindepolitikern – konnte die Verabschiedung des Richtplans Windenergie Biel-Seeland durch die Mitgliederversammlung von seeland.biel/bienne nicht mehr aufhalten. Mit einem Stimmenverhältnis von ungefähr 2:1 setzten sich die Vertreter aus den Städten und Agglomerationsgebieten gegen die ländlichen (Standort-) Gemeinden künftiger Windparkgebiete durch. Damit «ist der Weg frei, damit interessierte Gemeinden und Betreiber nun Windparkprojekte im Detail ausarbeiten können» (Protokoll und Medienmitteilung seeland.biel/bienne vom 1. Juli 2024). Für das Gebiet Oberwald/Bannholz heisst das konkret: «Der Regionale Richtplan … ist nun beim Kanton zur Genehmigung… Parallel dazu laufen die weiteren technischen Abklärungen durch die Windenergie Schweiz AG» (Mitteilung Gemeinderat Grossaffoltern an Verein Gegenwind Lyss – Büetigen – Diessbach» von Ende November 2024).
Die von einem Windpark direkt betroffenen Gemeinden lehnen eine Windenergiezone in den Wäldern zwischen Lyss und Diessbach ab oder haben gewichtige Vorbehalte
Die anonymisiert durchgeführte Abstimmung erschwert eine exakte Analyse des Stimmverhaltens einzelner Gemeindevertretungen. Verlässliche Quellen bestätigen die Ablehnung des Richtplans durch die Vertretungen aus Diessbach, Wengi und Grossaffoltern. Der Vertreter aus Büetigen stimmt dem Richtplan mit (vielsagenden) Vorbehalten zu: «…Er stört sich … am Vorgehen der Windenergie Schweiz AG, die bereits vor Beschluss des Richtplans bei den Gemeinden … geworben hat. Auch wird befürchtet, dass die Gemeinden angesichts der Energiestrategie des Bundes doch nicht das letzte Wort haben werden» (Protokoll seeland.biel/bienne, 1. Juli 2024). Bemerkenswert hier auch: Diessbach lehnte als einzige Gemeinde im Seeland das eidgenössische Stromgesetz am 9. Juni 2024 ab (Datenanalyse NZZ, 10.6.2024).
Die völlig ungenügende Informations- und Mitbestimmungspraxis für die Entwicklung von industriellen Windenergieparks ist auch ein strukturelles Problem
- Wenn die Mitgliedgemeinden des Vereins seeland.biel/bienne keinen Anlass sehen, ihre von einer Planungsmassnahme betroffenen Bürger zu informieren oder konsultieren, führt das Wirken des regionalen Planungsvereins zu demokratisch nicht legitimierten Resultaten. Das ist vor allem problematisch in der schweizweit kontrovers geführten Debatte um den Bau gigantischer Windenergieparks. Griffige direktdemokratische Rechte, ein Referendum beispielsweise, gibt es bei seeland.biel/bienne nicht.
- Die massive Subventionierung des Windenergiesektors führt zu geheimnistuerischen Praktiken von Projektentwicklungsfirmen zur «Sicherung ihrer Windenergiegebiete» lange bevor Richtpläne bewilligt sind und die breite Bevölkerung davon erfährt.
- Das Lobbying der Interessengruppierungen der Windenergieindustrie auf allen Stufen des schweizerischen politischen Systems ist aggressiv. Ein Beispiel dafür sind die Beiträge von SuisseEole, aeesuisse und der Windenergie Schweiz AG im Mitwirkungsverfahren von seeland.biel/bienne 2022, nachzulesen auf deren Website.
- Interessen-Vertreter der hochsubventionierten Windenergiebranche fordern auch unverblümt, die Mitbestimmungsrechte der Gemeinden in den Bewilligungsverfahren für Windparks abzuschaffen: «Wir sind sehr zufrieden mit dem Vorschlag (des Bundesrats), die Verfahren zu bündeln und in die Zuständigkeit der Kantone zu übergeben». Und: «Ein heikler Punkt … besteht darin, dass die Kantone einen Gemeindeentscheid vorsehen können» (sic) (Suisse-Eole, Webseite Stand April 2024, Bericht aus Behördenseminar, Dezember 2023).
- Mit «Express- und Beschleunigungsverfahren» zur Förderung der Windenergie übersteuert der Bund die Kantone und diese die überforderten Gemeinden.
Die Kompetenzen der Gemeinden in Planungsverfahren für Windparks
werden diesen mehr und mehr entzogen.
Es ist zu befürchten, dass die Kompetenzen der Gemeinden und der Schutz von Landschaft und Umwelt weiter unter Druck geraten. Gemäss revidiertem eidg. Energiegesetz (2024) und dem sog. «Beschleunigungserlass» stehen Windenergieanlagen mit einer Produktion von 20 GWh/a oder mehr im nationalen Interesse. Sie sind damit grundsätzlich wichtiger als andere nationale Interessen wie der Landschafts- und Naturschutz, ihre Planungs-, Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren sollen «gestrafft» werden (Medienmitteilung ARE, Juni 2023). Das schafft auf den Ebenen der Kantone und Gemeinden viel Unsicherheit und ist verfassungsrechtlich umstritten. Und das Lobbying der Windenergie-Industrie zeigt Wirkung: Die Zahl der Kantone wächst, die ihren Gemeinden die Mitbestimmungsrechte auf der Stufe der Nutzungsplanung für Windenergieparks entziehen (Beispiele sind LU, SG, SO, ZH). Auch für den Kanton Bern bleibt offen, «wie wir … den Einbezug der Gemeinden besser und optimaler gestalten können» (RR Amman, Der Bund, 11.02.2024).
- Die fehlende oder völlig ungenügende Information der Bürgerrinnen;
- Die Tendenz zur Beschneidung von Gemeindekompetenzen; und
- Problematische Praktiken subventionsgetriebener Firmen zur Entwicklung von Windparks
lassen sich nicht nur in der Region Lyss – Diessbach beobachten. Auf die Beispiele Wohlen BE und Sumiswald-Dürrenroth haben wir schon hingewiesen. Noch breiter abgestützt sind zwei aktuelle Berichte der NZZ:
>«Warum Windkraft in der Schweiz zum Scheitern verurteilt ist», beschreibt das kommunikative und politische Versagen von Gemeindebehörden im Umgang mit Windenergieprojekten (NZZ Magazin, 28.10.2023);
>der Beitrag «Wem gehört der Wind? …», Kapitel «Geheime Verträge mit Landbesitzern» und «Eingeschränkte Mitspracherechte» schildert die Praktiken privater Windpark-Entwickler mit ihren Zahlungsversprechen an Grundeigentümer (NZZaS vom 20. März 2024).
Der «Verein für Naturschutz und Demokratie» hat die demokratiepolitischen Risiken der Schnellschüsse der eidgenössischen Politik erkannt und die «Gemeindeschutz-Initiative» lanciert. Sie fordert, «dass alle Einwohner, die vom Bau von Windturbinen betroffen sind, demokratisch abstimmen können»: Eidg. Gemeindeschutz-Initiative | Demokratie für alle
Im Falle des Projektgebiets Oberwald/Bannholz gehörten insbesondere – nebst Lyss, Büetigen und Diessbach – auch die Gemeinden Grossaffoltern und Wengi zu den «beeinträchtigten Gemeinden».